Mirjam Halbig und Stephanie Kloidt, die für den Freiwilligendienst „weltwärts“ zuständigen Referentinnen, haben derzeit vor allem eine Aufgabe: Improvisieren in der Corona-Krise. „Jetzt stehen wir alle vor der herausfordernden Situation, dass wir nicht in die Zukunft blicken können“, sagt Kloidt.
Fest steht: Bis Anfang Oktober findet mit Sicherheit keine Ausreise von Freiwilligen statt. Dabei stünden sieben Frauen und ein Mann bereit. Sie wurden im Januar bei einem Auswahltag in Würzburg ausgesucht. Doch wegen Corona kommen sie nicht aus den Startlöchern. Und das Referat Weltfreiwilligendienst? „Für uns ist es wichtig, das Signal zu senden: Es gibt uns noch, und wir planen weiter“, bekräftigt Halbig.
Üblicherweise sieht die Arbeit der beiden Referentinnen so aus: Sie werben Freiwillige im Alter zwischen 18 und 28 Jahren an und bereiten sie mit Kooperationspartnern auf die Arbeit in den Einsatzstellen vor.
Soziale Arbeit im Angebot
Zur Auswahl stehen Dienste im Krankenhaus, in Kindertagesstätte, Schule oder Sozialzentrum. Sind die jungen Leute in Afrika oder Südamerika, halten Halbig und Kloidt telefonisch und über Internet Kontakt. Nach der Rückkehr der Freiwilligen findet außerdem eine mehrtägige Nachbereitung statt.
Wann die nächste Ausreise stattfindet, verfügt nicht der Würzburger Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), dem das Referat Weltfreiwilligendienst zugeordnet ist. Entscheidend sind die Einschätzungen des Auswärtigen Amts und die Absprache mit den Partnern im In- und Ausland.
Gefördert wird das Programm „weltwärts“ seit 2008 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn. Von dort kam am 16. März 2020 auch das Signal zum Abbruch – wegen Corona.
„Die Nachricht kam für alle Freiwilligen aus dem Nichts“, erinnert sich Halbig. Telefonisch mussten sie und ihre Kollegin neun junge Frauen in Bolivien, Brasilien, Südafrika und Tansania unterrichten, dass ihr Auslandsjahr abrupt zu Ende gehen würde. Halbig: „Erst mal gab es Schock und Trauer, aber auch Verständnis. Das alles richtig zu verarbeiten, hat bei ihnen Stunden gedauert. Sie verdienen ein großes Kompliment, dass sie gut mitgemacht und uns nie einen Vorwurf gemacht haben.“
Rettungsaktion
Für „weltwärts“-Verantwortliche war der 16. März der Beginn einer weltweiten Evakuierung. Von einem Tag auf den anderen mussten sie fieberhaft nach Rückflugmöglichkeiten und Unterkünften für die Freiwilligen in Flughafennähe suchen. Halbig und Kloidt half die Kooperation mit einem Reisebüro, die Vernetzung mit anderen Organisationen und das kirchliche Netzwerk. Im tansanischen Daressalam sind die Missionsbenediktiner ansässig, im brasilianischen Santarém die Maria-Stern-Schwestern. Dort zum Beispiel fanden Freiwillige Unterschlupf, bis sie einen Flug nach Deutschland erwischten. „Es war eine sehr nervenaufreibende Zeit. Wir waren mehr als erleichtert, als der letzte Flug in Frankfurt gelandet ist. Wir haben mitgezittert und mitgefiebert. Es hat sich gezeigt, dass die Kooperation mit unseren Partnern im In- und Ausland funktioniert“, blickt Kloidt zurück.
Positiv heben die Referentinnen die Teamerfahrung hervor. Gemeinsam mit dem Geistlichen Leiter des Würzburger BDKJ, Bernhard Lutz, schafften sie es nach eigener Aussage, Ruhe zu bewahren – und sich zu freuen, wenn sie Glück hatten. Etwa als eine Freiwillige in Südafrika den Heimflug antreten konnte, bevor am nächsten Tag der Flughafen Durban den Betrieb einstellte.
Danach gefestigter
Doch abgesehen vom Corona-Stress – was macht so ein Auslandsjahr mit jungen Menschen? „Alle kommen gefestigter zurück in ihrer Persönlichkeit. Sie mussten Situationen durchkämpfen, Herausforderungen bewältigen. Sie werden selbstbewusster, lernen sich besser kennen, sind reflektierter. Und dankbarer für das, was in Deutschland selbstverständlich ist, auf anderen Kontinenten aber nicht.“ So nimmt es Stephanie Kloidt wahr.
2009 wurde der BDKJ in der Diözese Würzburg als Entsendeorganisation im Programm „weltwärts“ vom Bundesentwicklungsministerium anerkannt. 148 Freiwillige gingen seither auf die Reise. Kooperationspartner des BDKJ sind die Diözesanstelle Mission Entwicklung Frieden, die Missionsbenediktiner von Münsterschwarzach, die Oberzeller Franziskanerinnen, die Schwestern des Erlösers, der Verein Main-Spessart für Peru und der Diözesanverband der Katholischen jungen Gemeinde. Daran ändert Corona erst einmal nichts.
Doch die Frage drängt, wie es nun weitergeht. Kloidt wagt eine Prognose: „Ein Freiwilligenjahr in Brasilien oder Bolivien wird in diesem Jahr nicht möglich sein. Die gesellschaftlichen Probleme dort verschärfen sich wie unter einem Brennglas. Die politische Lage ist in beiden Ländern angespannt, die Menschen können nicht raus und arbeiten.“ Halbig ergänzt, dass trotz dieser Situation im Januar 2021 wieder eine Freiwilligen-Auswahl stattfinden wird – um zu zeigen: Das Programm geht weiter.
Vom Weltfreiwilligendienst sind Halbig und Kloidt auch deswegen überzeugt, weil sie auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können. Beide zog es nach der Schule ins Ausland, Kloidt nach Bolivien und Halbig nach Kenia. „Der Freiwilligendienst beginnt erst nach der Rückkehr“, betont Halbig. Denn: „Viele gewinnen eine Haltung, die sie ein Leben lang behalten“, ergänzt Kloidt. Der Blick auf soziale Ungerechtigkeiten und die Ausbeutung von Ländern des globalen Südens verschwinde nicht mit der Rückkehr nach Deutschland. Dieser Blick könne lebensprägend sein – bis hin zur eigenen Berufswahl.
V.i.S.d.P.: Ulrich Bausewein, Sonntagsblatt